Gescheiterte Digitalisierung: Einstellung von Touch & Travel

Veröffentlicht von Stefan Gebhardt am

Ein deutlicher Schritt in die falsche Richtung: Die Deutsche Bahn – immerhin im Besitz der öffentlichen Hand – stellt Touch & Travel (T&T) ein. Es war das einzige System in Deutschland, mit dem das Tarif-Gewirr der einzelnen Anbieter eine Chance auf Kundenfreundlichkeit hatte.

Jeder, der schon einmal in einer fremden Stadt unterwegs war und die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen wollte, kennt das Problem. Man muss erst einmal das Tarifsystem studieren – obwohl man eigentlich nur von A nach B möchte. Mit Touch & Travel konnte man – bei den teilnehmenden Verkehrsverbünden – bei A einchecken und bei B wieder auschecken. Den günstigsten Tarif hat das System berechnet. Das Ganze klappte sogar deutschlandweit, wenn man zwischen beteiligten Verkehrsverbünden mit der Bahn unterwegs war.

Leider scheint das System von den Kunden nicht gut genug angenommen worden zu sein – so die Bahn. Alternativen gibt es nicht. Wieder einmal sind also die Kunden Schuld, weil ein gutes System stirbt. Im Marketing-Jargon der Bahn klingt es so:

Die Deutsche Bahn hat den Anspruch, ihre Produkte stets an den aktuellen Kunden- und Marktanforderungen auszurichten. Unsere Marktforschung hat ergeben, dass Fahrgäste im Nahverkehr eine „Alles-aus-einer-Hand“-App mit Informationen und zusätzlichen Services erwarten. Diese suchen sie vorrangig bei ihrem lokalen Verkehrsverbund/-unternehmen.

Um diesen Kunden- und Marktanforderungen besser gerecht zu werden, bietet die Deutsche Bahn den Verkehrsverbünden/-unternehmen an, die Funktionalitäten von Check-in/Check-out in ihre eigenen Apps zu integrieren.

Wie es hätte klappen können

Schauen wir doch mal zu den Nachbarn Niederlande. Dort hat man 2005 landesweit begonnen, eine einheitliche Chipkarte (ov-chipkaart) bei allen Verkehrsverbünden einzuführen. Seit 2012 ist die Einführung abgeschlossen. Egal, wo man in den Niederlanden in ein öffentliches Verkehrsmittel steigt: Karte beim Einsteigen an den Automaten halten und beim Aussteigen noch einmal. Schon hat man die Fahrt bezahlt – das klappt vom Metropolenzug bis zum letzten Landbus einwandfrei. Für Besucher, die sich keine Chipkarte zulegen wollen, gibt es Einzeltickets nach dem gleichen Prinzip.

An sich also die gleiche Idee, die hinter Touch & Travel steht – und die Niederländer zeigen, dass es funktionieren kann. Ein Paradebeispiel für gelungene Digitalisierung zu einer Zeit, als dieses Modewort noch nicht benutzt wurde.

Warum es nicht geklappt hat

Wenn Kunden ein System nicht annehmen, wird entweder das System gar nicht benötigt oder es ist in der Umsetzung nicht ausreichend gut, dass es massentauglich wird. Woran lag es nun bei Touch & Travel?

  • Startphase/Infrastruktur: Touch & Travel hatte zum Start große Hürden. Man hat komplett auf das Smartphone gesetzt. Am Anfang waren nur wenige Geräte in der Lage, das System zu nutzen. Nachdem man dann alle Geräte unterstützen konnte, hat man sich für eine Lokalisierung über den Netzbetreiber entschieden. Auch hier hat es wieder sehr lange gedauert, bis alle Netzprovider unterstützt wurden. Bis das System also für alle verfügbar war, ist die Anfangseuphorie schon längst verpufft gewesen. Eine einfache Chipkarte hätte viele Probleme deutlich reduzieren können.
  • Geringerer Kundennutzen als der Standard: Leider hat man es nicht geschafft, alle Verkehrsverbünde ins Boot zu holen. Der Kunde konnte das System also nicht flächendeckend nutzen und musste sich erst informieren, wo eine Nutzung möglich war. Die digitale Lösung hatte zwar Vorteile mit sich gebracht, aber den Umfang der bisherigen Standardlösung (Papier- und Onlineticket) nie erreicht.
    • So wurden beispielsweise Firmenrabatte nicht berücksichtigt.
    • Wollte man von Berlin nach Hannover fahren, so konnte man den Nahverkehr in Berlin, nicht aber den in Hannover benutzen. Bei einem normalen Bahn-Ticket mit Bahnkarte gab es schon lange die City-Option, mit der man die öffentliche Verkehrsmittel problemlos nutzen konnte.
    • Die Nutzung war nur mit Volljährigkeit möglich.
    • Mitfahrer waren nicht möglich.
  • Komplexität: Die Anmeldung am System war nicht „einfach“ im Sinne eines Kunden. Die Applikation alleine bot nicht alle Funktionen an, man musste für einige Funktionen den Browser am PC nutzen. Besuchern und Wenignutzern war das System damit kaum zugänglich.
  • Innovation: Das System wurde kaum weiterentwickelt und an neue Möglichkeiten der Smartphones angepasst. Bis zum Schluß war keine Bezahlung mit anderen Methoden als der Lastschrift möglich.

Es ist wirklich sehr schade, dass die öffentliche Hand es nicht geschafft hat, diese Idee weiterzuentwickeln und die einmalige Chance zu nutzen, in ganz Deutschland ein einheitliches System für die Bezahlung im öffentlichen Personennahverkehr zu etablieren. Gewöhnen wir uns also wieder an eine eigene App auf dem Smartphone von jedem Verkehrsverbund in Deutschland, den wir benutzen. Und natürlich jeweils eigene Zugangsdaten.

Kategorien: Digitalisierung

2 Kommentare

Stefan Gebhardt · 21. März 2017 um 11:39

Und nun experimentiert man mit dem vermeintlichen Nachfolger „TicketEasy“: https://www.teltarif.de/deutsche-bahn-ticketeasy-fahrkarte/news/67919.html – eigentlich die gleiche Vorgehensweise und keinen Hinweis darauf, wie man die Schwäche des vorherigen Systems vermeiden will. Ganz im Gegenteil: es wird nicht klar, warum man sie nicht bei T&T versucht hat, in den Griff zu bekommen. Es ist das übliche Henne-Ei-Prinzip: zu wenig Anbieter, zu wenig Akzeptanz beim Nutzer…

Marc · 14. Oktober 2016 um 10:10

Für solch eine Einführung muss man einen langen Atem haben (siehe oben 7 Jahre) oder aber tolles Konzept mit schnellem rollout.
letzteres wäre bspw. möglich über NFC-Karten (+Smartphones) der Banken die ja erst jetzt für „kontaktloses bezahlen“ ausgerollt werden. Somit wäre „Lastschrift ohne Anmeldung“ sowie Kreditkarten-/ und Smartphone-Pay möglich.
Der Check-in/-out an Bahnhofen besser positionieren und die fehleranfälligen und teuren Automaten/Schalter würden der Vergangenheit angehören und die Beratung/Fahrplanauskünft also Service wäre im Mittelpunkt. (gewesen)

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